Pressemitteilung der Paderborner Natur- und Umweltschutzvereine: BUND, pro grün e.V., Naturwissenschaftlicher Verein Paderborn e.V.:
Offener Brief an die Regierungspräsidentin Detmold, Frau Judith Pirscher, vom 06.07.2020
Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin,
der Kreis Paderborn ermöglicht einem Landwirt über eine von der Bezirksregierung befürwortete Ausnahmegenehmigung im Landschaftsschutzgebiet Ems-Furlbach zwischen Steinhorst und Kaunitz den Bau eines Maststalls für 29.900 Hähnchen einschließlich zweier Silotürme und einer unterirdischen Gülledeponie.
Die Bezirksregierung Detmold gibt dazu ihre Zustimmung und unterläuft damit ihre eigene Landschaftsschutzverordnung, die Bauen in diesem Bereich verbietet und ignoriert das Votum des Naturschutzbeirates im Kreis Paderborn, der das Vorhaben ablehnt.
Auch aus Sicht der Grünen-Fraktion ist der Standort indiskutabel, “nicht nur wegen der Dimension des Vorhabens und seiner Lage mitten im Landschaftsschutzgebiet “Ems-Furlbach” mit noch weitgehend intakter Freiflächenfunktion, sondern auch wegen seiner Nähe zum Emsufer, dem Steinhorster Becken und dem Vogelschutzgebiet “Emsniederung”.
Auf unsere telefonische Anfrage erklärte Ihr zuständiger Sachbearbeiter bei diesem Telefonat, dass landwirtschaftliche Bauvorhaben im Landschaftsschutzgebiet privilegiert seien, und es sei gängige Praxis dafür Ausnahmegenehmigungen zu erteilen.
Die Hinzuziehung des Naturschutzbeirates suggeriert also eine Entscheidungssituation, die es gar nicht gibt. Praktiziert wird die “gängige Praxis”! Geschützte Landschaft ist damit lediglich eine billige Baulandreserve für die Landwirtschaft, der Naturschutzbeirat ein Alibigremium ohne Einfluss und das Landschaftsschutzgesetz ein Feigenblatt, das mangelndes ökologisches Bewusstsein und Profithörigkeit überdeckt.
An den Entscheidungsträgern scheint im Fall des Massenstalls ein Wandel im ökologischen Bewusstsein der Gesellschaft spurlos vorübergegangen zu sein: Während die EU unter dem Druck des Klimawandels und dem Arten- und Insektensterben einen “Green Deal” anstrebt mit verstärktem Engagement fur Landschaft und Natur, wird regional immer noch nach Prinzipien von gestern entschieden und mit Ausnahmegenehmigungen ein schleichender Ausverkauf geschützter Landschaft betrieben. Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten im Landschaftsschutzgebiet der Bau landwirtschaftlicher Betriebe bewilligt wurde, haben Investoren keinen Anspruch darauf, dass aus wirtschaftlichen Gründen Fehler von gestern wiederholt werden. Die Prioritäten haben sich geändert.
Als Regierungspräsidentin, sehr geehrte Frau Pirscher, sind Sie letztlich verantwortlich für die Entscheidung Ihrer Fachbereiche. Deshalb bitten wir Sie zu veranlassen, die Praxis der Ausnahmegenehmigungen in Landschaftsschutzgebieten einer kritischen Prüfung zu unterziehen. “Landwirtschaft first” ist in Zeiten des Klimawandels, des Artensterbens und letztlich auch von Pandemien wie Corona ein Slogan von gestern.
Markus Müller
Sprecher BUND Kreisgruppe Paderborn
in Zusammenarbeit mit
Gemeinnütziger Umweltschutzverein pro grün e.V. Paderborn
Naturwissenschaftlicher Verein Paderborn
Informationstip der pro grün online-Redaktion: der Wasserverband Obere Lippe (WOL) stellt u.a. zu den Gewässern “Ems” und “Furlbach” Steckbriefe im PDF-Format zum Download bereit, auf die wir an dieser Stelle gern hinweisen:
http://www.wol-nrw.de/Gewaesser/Beschreibung-ausgewaehlter-Gewaesser/
Wiedergabe der PM im WV in der Ausgabe vom Sa., 11.07.2020:
Anmerkung von Fritz Buhr (pro grün e.V. Paderborn), zur Verkürzung der Formulierung und Zusammenfassung in abgetrenntem Satz, der wie folgt im WV wieder gegeben wurde:
“Landwirtschaft first sei ein Slogan von gestern, so lautet die Ansicht der Verfasser des Schreibens.”
Diese Verkürzung verfälscht leider die Aussage der Pressemitteilung, denn die Landwirtschaft ist für den Menschen von existentieller Bedeutung, sie ist, systemrelevant. Ohne sie würden wir verhungern. Richtig wird der Satz nur in unmittelbarem Zusammenhang mit dem vorhergehenden, und dann bedeutet er:
In Landschaftsschutzgebieten darf Landwirtschaft keinen Vorrang mehr haben, insbesondere dann nicht, wenn sie mit großen Baumaßnahmen und Gülleausbringung verbunden ist. Wenn Landwirtschaft in einem Schutzgebiet die Artenvielfalt gefährdet und die Natur zerstört, dann muss sie dort verboten werden und darf nicht privilegiert sein, denn der Erhalt der Natur, der Biosphäre, ist für das Überleben der Menscheit letztlich von der allergrößten Bedeutung.