Einwendungen gemäß § 3 (1) und § 3 (1) BauGB, frühzeitige Bürgerbeteiligung

Nachverdichtung und innerstädtische Brachen

Pro grün meint – nicht erst seit der Opferung des Wäldchens an der Warburger Straße für den Bau eines Studentenwohnheims und der Bebauung Am Kalberdanz an der Paderaue, dass in Rat und Verwaltung ein grundsätzliches Missverständnis besteht in der Auffassung des Konzeptes „Innenverdichtung vor Außenverdichtung“ und auch in dem Verständnis über den Wert von brach gefallenem Gelände im Siedlungsbereich.

Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass sich endlich bundesweit der Grundsatz durchgesetzt hat, dass zunächst im Siedlungsbereich Baulücken geschlossen werden, bevor die zu erhaltenden Flächen im Außenbereich immer weiter besiedelt und damit als Naturraum zerstört werden. Dabei muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden, ob sich hier nicht eine kleine grüne Oase entwickelt hat, in der die überall gefährdete Natur noch eine Chance hat und eine Aufheizung des Stadtklimas gemindert wird. Wir brauchen städtisches Grün!

Und für Brachgelände im Innenstadtbereich gilt Ähnliches. Auf Ruderalstandorten hat sich manchmal über Jahrzehnte  – unbemerkt von Anliegern – in einer Nische ein wertvoller Naturraum entwickeln können, ein Biotop, das erhalten werden sollte.

1.) Pro grün ist der Auffassung, dass dies insbesondere für Gelände im Planungsbereich des BP 298 Nordstraße gilt und fordert nicht nur für das Plangebiet, sondern generell eine Neubewertung von Brachflächen als ökologische Rückzugsräume im innerstädtischen Bereich.

Klima/Energie

Der Text lässt offen, auf welche Weise das angestrebte Ziel einer Klimaneutralität bis 2038 erreicht werden soll/kann. Hier bietet sich wie selbstverständlich die Forderung nach einem Passivhaus-, wenn  nicht gar einem Passivhaus-Plus-Standard. In Anbetracht der problematischen Lärmsituation zur Nordstraße – wie zur Gleisanlage hin –  ist ohnehin eine kontrollierte Belüftung erforderlich, die konsequent zu Ende gedacht Baustein einer  Passivhaus-Bauweise ist. Die SW-Orientierung der Hauptfassade erlaubt eine gute Nutzung solarer Gewinne, die die Ereichung des Passivhaus-Standards erleichtert. Zudem ist das Oberflächen/Volumen-Verhältnis im Vergleich zu kleineren Häusern sehr viel günstiger und kommt daher dem PH-Standard sehr entgegen.

2.) Pro Grün fordert, dass für die technische Bauausführung Passivhaus Standard zwingend vorgeschrieben wird.

Überschreitung der Grundflächenzahl von 0,8

Die mögliche Überschreitung der GFZ 0,8 durch bauliche Anlagen wie Garagen, Stellplätze und deren Zufahrten unter der Geländeoberfläche über die Baugrenze der Gebäudebaukörper hinaus  bewirkt letztlich eine Beseitigung der Vegetation auf der gesamten Fläche, auch im Böschungsbereich mit dem erhaltenswerten Gehölzstreifen und verhindert auch eine angeblich mögliche Bepflanzung mit großkronigen Laubbäumen am Rande der Nordstraße.

 3.) Pro Grün hat aus den genannten Gründen erhebliche Bedenken gegen Überschreitungen der GFZ. Die GFZ wird angesichts der vorhandenen Topografie und Vegetation für zu hoch erachtet, sollte aber in keinem Falle überschritten werden.

Niederschlagswasser/Grundwassererneuerung

Entgegen der Forderung von § 55 WHG wird das Niederschlagswasser auf der gesamten Fläche des Planungsgebietes nicht versickern können sondern muss über den Regenwasserkanal abgeführt werden und geht damit der Grundwassererneuerung verloren. Bisher versickerte das Grundwasser auf der gesamten Fläche, auch auf den verfestigten Bereichen wie der Ladestraße und diente damit der notwendigen Grundwassererneuerung, die in Zeiten des Klimawandels von so großer Bedeutung ist. Für den Erhalt der derzeitig guten Grundwasserzuführung auf dieser Fläche ist auch der Erhalt des Gehölzstreifens von entscheidender Bedeutung.

Das Bielefelder Planungsbüro schreibt richtig, dass auf Grund der baulichen Dichte und der geringen Größe der Freifläche eine Regenwasserversickerung nicht möglich ist. Die nahe liegende Lösung der Herstellung einer geringeren Baudichte und damit einer Vergrößerung der Freifläche unter Erhalt der schützenswerten Vegetationsbestände wird nicht in Erwägung gezogen. (S. Planungsalternativen)

4.) Pro Grün fordert dem Belang der Versickerung und Grundwasserneubildung im Plangebiet Rechnung zu tragen und hierfür entsprechende Konzepte einzuarbeiten. Die vollständige Abführung des Niederschlagswassers über einen Regenwasserkanal ist nicht akzeptabel.

Planungsalternativen

Planungsbüro  und Stadtverwaltung stellen in der Begründung des Bebauungsplanes lapidar fest (vgl. S. 15), die Alternative wäre der Erhalt der Brachfläche. Dies sei aber in direkter Nachbarschaft von Bahnhof und Innenstadtring städtebaulich nicht gewünscht.

Pro grün sieht hier die Möglichkeit eines Kompromisses als Lösung: Warum wird nicht das vorgesehene Volumen der Baumaßnahmen reduziert, indem statt vier neuer Baukörper etwa nur zwei gebaut werden und die offenbar vorgesehene Fassadenlänge von jeweils über 50 m verringert wird auf eine der Umgebungsbebauung eher angepasste Größe?

Hinzu kommt auch die Frage, ob an dieser Stelle tatsächlich ein angeblich vorhandener Bedarf an 85 „Kleinstwohnungen“ von 45 qm besteht, der nicht anderweitig abgedeckt werden kann. Zudem werden z. Zt. an vielen Stellen in der Stadt zahlreiche Neubauwohnungen von privat geplant und die Stadt selbst muss für die kommenden Jahre  beinahe 100 Hektar Fläche auf den drei aufgegebenen ehemaligen Kasernenflächen überplanen, auch mit Wohneinheiten.

Gesamtabwägung

In ihrer Gesamtabwägung am Ende der Begründung dieses vorhabenbezogenen Bebauungsplanes kommen Planungsbüro und Stadtverwaltung zu dem Ergebnis, hier wäre ein „innerstädtischer Innenbereich verträglich nachverdichtet“ worden. Es werde aus städtebaulicher Sicht eine „qualitativ hochwertige Situation“ geschaffen, „die sich in die vorhandene Wohnsituation und das Umfeld einbindet“. Nachteilige Auswirkungen würden nicht befürchtet.

Es ist offensichtlich, dass für diese Aussage keine sachliche Begründung angeführt werden kann, sondern dass das Gegenteil richtig ist. Hier wird auf engstem Raum, ohne Freiflächen, mangels Freiraum nur mit geringen Ansätzen einer Begrünung, für die Bewohner ein steinernes Umfeld geschaffen, das sich an sich häufenden zukünftigen Hitzetagen unerträglich aufheizt und zu einer wenig verträglichen Wohnsituation führt. Dazu kommt auf der Vorderseite der Verkehrslärm von der Nordstraße und auf der Hinterseite der Zuglärm von den Geleisen. Im Lärmgutachten wird von einer problematischen und einer kritischen Lärmbelastung gesprochen.

5) Pro Grün ist der Ansicht, dass die vorgeschlagene Bebauung weder als eine „verträgliche Nachverdichtung“ zu bewerten ist, noch zu einer „städtebaulich qualitativ hochwertigen Wohnsituation“ führen wird und fordert daher eine umweltgerechtere und dem Umfeld deutlich stärker angepasste Neuplanung. 

Zur ökologischen Bewertung des Plangebietes:

Mit dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 298 „Nordstraße“ wird auf eine Umweltprüfung nach § 2 (4) BauGB einschließlich der Bilanzierung von Eingriff und Ausgleich (vgl. § 13a (2) Ziffer 4 BauGB) wird gemäß § 13a (3) Ziffer 1 BauGB, sowie auf einen Umweltbericht verzichtet. Dabei wird angenommen, dass keine Schutzgüter nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) betroffen sind. Diese Annahme beruht auf der Einschätzung einer „Potenzialanalyse Artenschutz“ vom Juni 2017, die auf der Grundlage einer theoretischen Datenanalyse (desk study) und eines einzigen Feldbegangs durchgeführt wurde.

6.) Pro grün hält die „Potenzialanalyse Artenschutz“ für nicht ausreichend und in Teilen für fehlerhaft. Sie erfordert ergänzende Untersuchungen. 

Begründung: Der vorhandene bis zu 15 m breite Gehölzbestand auf der Böschung und am Gleisrand wird aufgrund von Kleinräumigkeit und Beeinträchtigungen durch die angrenzende Straße als „ungeeignet für Brut- und Aufenthaltsraum für eine der nachgewiesenen 22 Vogelarten“ bezeichnet. Richtig ist, dass es sich beim Böschungsbereich an der Nordstraße um einen äußerst strukturreichen vielschichtigen Gehölzraum aus bis zu 10 m hohen ca. 40-jährigen Robinien mit dichtem Unterwuchs aus Robinien, Linden und mehreren Straucharten handelt, der von zahlreichen Boden-, Strauch- und Baumbrütern besiedelt ist. Aufgrund der Dichte des Bewuchses und der Abschüssigkeit des Geländes spielt der Straßenverkehr als Störfaktor für das Brut- und Aufenthaltsgeschehen keine Rolle. Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die Bedeutung der bandartigen Struktur des Gehölzsaums, in Teilbereichen bis zu etwa 15 m breit, die sich bis in den Einmündungsbereich des Greiteler Weges erstreckt, als Verbindungs- und Vernetzungskorridor mit den südlich angrenzenden Gärten des Siedlungsbereichs Greitelerweg/ Greiteler Gärten.

Erhebliche Zweifel erhebt pro grün ebenfalls an der Aussage, dass das Vorhandensein sogenannter Flugstraßen oder essenzieller Nahrungsreviere für die fünf möglichen Fledermausarten nicht zu erwarten ist. Tatsache ist, dass die Gehölz- und Freiflächen des Plangebietes als Jagd- und Lebensraum für Fledermäuse von großer Bedeutung sind. Da sich geeignete Fortpflanzungs- oder Ruhestätten für Fledermäuse in unmittelbarer nördlich angrenzender Nachbarschaft befinden, stellen die insektenreichen Flächen des Plangebietes ein ideales Nahrunsgbiotop dar, das intensiv beflogen wird. Weiterhin ist davon auszugehen, dass der gesamte Gleisstrang zwischen Nordbahnhof und Fischteichen einschließlich der angrenzenden Gehölz- und Gartenbereiche als Zugstrasse und Wanderkorridor genutzt wird. Das Plangebiet ist ebenfalls Bestandteil. Entsprechende Nachweise durch Bat-Detektoren müssten nachgeholt werden.

Auf die erhebliche Bedeutung des Plangebietes für Reptilien ist in der Potenzialanalyse auf der Grundlage eines Fundortkatasters und der vorhandenen Lebensraumstrukturen hingewiesen. Eine genauere Artenerhebung muss nachgeholt werden. Den vorgeschlagenen Abfang und die Umsiedlung dieser Arten hält Pro Grün als nicht ausreichende und nicht nachhaltige Artenschutzmaßnahme. Stattdessen fordert Pro Grün, dass ein wesentlicher Teil der im Vorentwurf als „gärtnerisch zu gestaltenden Flächen“ am Rand der Bahntrasse als „Ruderalbiotop“ zu gestalten ist, auf dem im unmittelbaren Umfeld des derzeitigen Lebensraums eine Wiederbesiedlung durch Reptilien stattfinden kann.

Schließlich ist das Potenzial der Planflächen für Insekten nicht untersucht. Die Robinie, die als Art im Gehölzstreifen dominant vertreten ist, gilt mit 0,1 % Flächenanteil in Deutschland als seltene Baumart, die aufgrund ihres Blüten- und Nektarreichtums zahlreiche Insekten anzieht. Eine Untersuchung der Insektenfauna ist daher unerlässlich.

Der vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 298 „Nordstraße“ sieht vor, den vorhandenen Gehölzstreifen am Böschungsrand zur Nordstraße sowie entlang des Gleiskörpers vollständig zu beseitigen und durch eine Baumreihe („Straßenbegleitgrün“) an der Nordstraße, sowie durch eine Rasenfläche (gärtnerische Gestaltung) am Gleiskörper zu ersetzen. Wie das zu realisieren ist – bei einer weit über 80% der zu bebauenden Fläche mit hohem Versiegelungsgrad und unterirdischen Stellplätzen über die Grenzen der Baukörper hinaus – müsste nachgewiesen werden.

7.) Pro Grün fordert die vollständige Erhaltung des natürlich entstandenen biodiversitätsreichen Baum- und Gehölzbestandes entlang der Nordstraße aus Gründen des Artenschutzes und Schutzes der Bewohner der künftigen und der bereits im Umfeld vorhandenen Wohnbebauung vor Straßenlärm, Staub- und Abgasemissionen. 

8.) Pro Grün fordert die quantitative Erhebung und konkrete Angabe der Grünmasse bzw. des Grünvolumens in den Planunterlagen als Pendant zu den Indikatoren der baulichen Nutzung wie der Grundflächenzahl (GRZ) und der Geschossflächenzahl (GFZ) in Form einer Grünvolumenzahl (GVZ), gemessen in m³/m² Fläche. Ohne Angabe einer aktuellen und geplanten Grünvolumenzahl sind Entscheidungsträger nicht in der Lage, eine Bewertung der ökologischen Auswirkungen der geplanten Bebauung auf Mensch und Natur zu treffen.

zu a) Begründung:

Robinie, Foto: Hans Braxmeier

Städtisches Grün ist unverzichtbar und erfüllt direkt und indirekt elementare ökologische Funktionen. Das gilt für den vorhandenen Gehölzstreifen entlang der Nordstraße in besonderer Weise. Er hat aufgrund seiner vielschichtigen Strukturen und seines Biodiversitätsreichtums nicht nur wichtige Artenschutzfunktion, sondern ist durch seine wichtige Trenn- und Schutzfunktion zwischen Straßenkörper und geplanter Bebauung besonders geeignet, die negativen Einwirkungen des Straßenverkehrs durch Straßenlärm, Staub- und Abgasemissionen abzuschirmen. Außerdem trägt der vorhandene Gehölzstreifen zur Temperatursenkung, Grundwasserneubildung und durch Schattenbildung zu einem verminderten Aufheizen der versiegelten Flächen bei. Erwähnenswert ist in dem Zusammenhang auch, dass sich die Robinie als prägende Art des Gehölzstreifens Nordstraße aufgrund ihrer geringen Ansprüche an Nährstoff- und Wasserhaushalt einerseits, und großer Resistenz gegen Abgasemissionen andererseits, in besonderer Weise als Schutzbiotop eignet. Das ersatzweise geplante Straßenbegleitgrün mit hochstämmigen Laubbäumen kann weder qualitativ noch quantitativ die vorhandene Artenschutz- und Emissionsschutzfunktion ersetzen, sondern dient allenfalls der optischen Aufwertung. Schließlich hat der Gehölzstreifen eine wichtige Trittstein- und Vernetzungsfunktion zu den südlich sich anschließenden Gärten der Siedlungsgebiete Greitelerweg und Greitelergärten.

Zu b) Begründung:

Wegen der Bedeutung des Stadtgrüns im Zeichen zunehmenden Artenverlustes und Klimawandels werden seitens der Stadtplanung in deutschen Großstädten zunehmend Indikatoren nicht nur für qualitative, sondern auch für eine quantitative Beschreibung der Vegetation gesucht. Als Pendant zu den Indikatoren der baulichen Nutzung wie der Grundflächenzahl (GRZ) und der Geschossflächenzahl (GFZ) hat die sog. Grünvolumenzahl (GVZ) insbesondere in Nachverdichtungsstrategien zunehmende Bedeutung erlangt. Mit der blockbezogenen Grünvolumenbestimmung besteht die Möglichkeit, sowohl Defizite als auch Potenziale der Grünausstattung blockgenau zu identifizieren.

Pro Grün fordert die Einführung und Darstellung eines solchen Messwertes nicht nur für das Planverfahren „Nordstraße“, sondern generell für alle zukünftigen Planverfahren im innerstädtischen Bereich, insbesondere im Falle von Nachverdichtungen. Nur die Grünvolumenzahl (GVZ), die sich leicht durch dreidimensionale Messungen auf Laserscannerbasis ermitteln lässt, schafft Transparenz zu Auswirkungen der Planung auf Verlust oder Erhaltung des Grünvolumens im Plangebiet. Ziel der Planung sollte es generell sein, den aktuellen Wert der GVZ zu erhalten, besser noch zu steigern. Im vorliegenden Planentwurf ist mit einem dramatischen Absinken des GVZ-Wertes zu rechnen, was grundsätzlich dem Planziel von Nachverdichtungen im innerstädtischen Bereich widerspricht.

Fritz Buhr, Pro grün e.V.